Heute Morgen sind wir vom Howraman Tal im iranischen Teil Kurdistans unweit der irakischen Grenze aufgebrochen. Übernachtet haben wir im idyllisch in der Landschaft liegenden Dorf Howraman-ad takh. Die rustikalen Häuser der 2000 Einwohner sind an die steilen Talwände gebaut und bilden so eine spektakuläre Kulisse. In diesem abgelegenen Teil Irans ist die Zeit zwar nicht stehen geblieben, aber das Leben ist hier dennoch trotz ubiquitärem 3G Empfang ruhig und entspannt – ganz im Gegensatz zu den Grossstädten wie Tehran. Viele der Einwohner tragen hier noch immer ihre traditionelle Kleidung und gesprochen wird beinahe ausschliesslich Kurdisch.

howraman


howramanMan

Wir sind unterwegs in einem alten landestypischen Paykan, einem sehr verbreiteten Automodell der iranischen Automarke Khodro, von Merivan nach Sanandaj, als unser Fahrer plötzlich links abbiegt. Vor einer generisch ausschauenden Moschee, wie sie 100-fach im Land zu finden ist, halten wir an. Der Fahrer bittet uns auszusteigen. Wir haben nichts dagegen. Immerhin ist das Thermometer auf die üblichen 35°C+ gestiegen. Die gekühlten Datteln vom Shop auf der gegenüberliegenden Strassenseite füllen unseren Energiespeicher wieder auf und erfrischen uns zumindest kurzfristig.

Wir sind in Negel angekommen, einem unscheinbaren Dorf irgendwo in Kurdistan. Und hier, in genau dieser Moschee, soll ein spezielles Buch zu finden sein: Ein alter Qu’ran (Koran). Angeblich handelt es sich dabei um einen Qu’ran aus der Zeit des dritten Kaliphen Osman, also kaum eine Generation nachdem der Prophet Muhammad (570* – 632†) gelebt hat. Es ist eines von nur vier Exemplaren, die zu dieser Zeit verfasst wurden. Niemand weiss, warum dieses Buch jetzt genau in Negel liegt. Zudem soll dieser Qu’ran, so die Geschichte, mehrmals gestohlen worden sein. Er habe jedoch den Weg stets zurück nach Negel gefunden – zuletzt wurde das Buch übrigens im Jahre 2004 von Schatzräubern gestohlen.

Wir betreten die Moschee. In einer Ecke, geschützt durch eine verstaubte Plexiglasscheibe und umgeben von einem Stahlgitter liegt nun dieses Buch – eigentlich recht unspektakulär und beinahe enttäuschend, wenn man bedenkt, um was es sich hier angeblich handelt. Das Buch ist geöffnet und erlaubt einen Blick auf eine Doppelseite. Geschrieben wurde es von Hand  in schönem Kufisch, einer der ältesten kaligraphischen Formen der arabischen Schrift. Die Nummern der einzelnen Verse glänzen goldig und die Seiten sind aufwändig verziert. Sie sind nicht etwa aus Papier oder Papyrus hergestellt, sondern aus dickem Pergament, also aus Tierhaut.

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Eine Rarität ist das Buch bestimmt. Es ranken sich noch viele Geschichten um dieses Buch. Wenn man sich umhört, erfährt man, dass dieser Qu’ran nicht mehr überall anerkannt sei. Es heisst, dass Textstellen im Buch von der ursprünglichen Version geändert wurden und es gibt Hinweise, dass eine einzelne Seite fehlen soll. Dies wird anderweitig wieder dementiert. Und so ist es für uns schwierig das Buch richtig einzuschätzen. Nach ein paar Minuten verlassen wir die Moschee und treten in die flimmernde Hitze heraus. Unsere Augen brauchen ein paar Sekunden um sich ans grelle Licht zu gewöhnen und unser Fahrer bittet uns einzusteigen. Wir verlassen das Dorf und je weiter wir uns von der Moschee entfernen, desto erstaunlicher ist die Tatsache, das an einem so unscheinbaren Ort irgendwo in Persien auf so unspektakuläre Weise ein so wichtiges Buch liegt.