Sowohl Andreas als auch ich haben während unserem Studium ein Praktikum im Ausland absolviert. Organisiert wurde dies durch die Vermittlungsstelle IAESTE. Diese Organisation vermittelt Praktikumsplätzte für angehende Ingenieure und Naturwissenschaftler in über 60 Ländern. Im letzten Jahr wurde erstmals ein Praktikum in Nordkorea ausgeschrieben. Leider haben wir unser Studium schon länger abgeschlossen und durften uns daher nicht mehr bewerben. Dennoch hat es mich brennend interessiert, wie ein solches Praktikum abläuft, wie der Arbeitsalltag aussieht und was man von Land, Leuten sowie der Kultur mitbekommt.
Ich habe mich daher mit Christof Rutishauser getroffen, welcher im Herbst 2014 für drei Monate genau dieses Praktikum absolviert hat. Es folgen einige Anekdoten und Erlebnisse, welche mir Christof während unserem Gespräch erzählt hat.
Universität & Arbeit
Christof hat sein Praktikum an der Pyongyang University of Science and Technology (PUST) in der Hauptstadt Pjöngjang absolviert. Die Schule wurde von einem Koreaner gegründet, welcher während dem Krieg in die USA ausgewandert ist. Später hat er in China eine Universität gegründet, welche sehr erfolgreich wurde. Daraufhin wurde er von Nordkorea gebeten, im eigenen Land ebenfalls eine Uni zu eröffnen. Die Schule ist nun seit 2010 in Betrieb und im letzten Jahr haben die ersten Bachelor-Studenten erfolgreich abgeschlossen. Ja, es gibt an dieser Schule ein normales Bachelor/Master-System, wie wir es hierzulande auch kennen. Es wird ebenfalls nachgedacht, ein PhD-Programm einzuführen. Die meisten Dozenten an der Schule sind Ausländer, darunter viele Südkoreaner, welche in den USA leben und jeweils für die Vorlesungszeit an der Uni unterrichten.
Der Unterricht findet auf Englisch statt, was laut Christof auch der Hauptgrund ist, warum die Schüler an dieser Uni studieren wollen. Viele wollen Englisch lernen, da sie wissen, dass dies die Weltsprache ist und man sich viel Wissen aneignen kann, wenn man sie beherrscht. Neben Englisch wird auch noch Chinesisch unterrichtet. Einige Schüler erlernen zudem im Selbststudium Sprachen wie Spanisch oder Deutsch.
Was machen die Schüler nach einem erfolgreichen Abschluss der Schule, wollte ich von Christof wissen. Wie auf viele Fragen hatte Christof keine abschliessende Antwort darauf erhalten.
Vergleichbar ist der Abschluss mit einem Schweizer Bachelor-Titel besonders in theoretischen Bereichen. Praktisch sind die Studenten nicht so solide ausgebildet. Dies ist sicher auf den Mangel an Infrastruktur (Labor, PCs, etc.) zurückzuführen. Beginnen tut dies schon beim regelmässigen Stromausfall an der Schule.
Ein grosser Unterschied zwischen Studenten in Nordkorea und den hiesigen ist auch die Motivation. Jeder sei sehr motiviert und mit vollem Engagement dabei, so Christof. Jeder wollte sich als erstes auf eine Frage melden – das Konzept ‚Hand heben um sich zu melden‘ versagte. Es ist nicht bekannt und wird schlicht übergangen. Generell sind die Schüler sehr wissbegierig und Fragen wurden auch weit in die Mittagspause hinein gestellt. Was sind die Gründe dafür, wenn es doch gar keine Karriereplanung gibt? Christof erzählte mir von der Wall of Fame im Eingangsbereich der Schule. Es handelt sich dabei um eine Wand, auf welcher die Portraits und Namen jener Schüler publiziert werden, die einen gewissen Schnitt erreichen. Für viele ist es erstrebenswert, auf dieser Liste zu erscheinen.
Auch ausserhalb der Fächer sind die Schüler sehr interessiert. So wurde Christof regelmässig über die Schweiz ausgefragt. Die Schüler scheinen generell viel über die Geographie der Welt zu wissen: Sie kennen jedes Land, die Hauptstädte und wissen, welche Sprache wo gesprochen wird.
Hat man viel Freizeit als Student? Nein. Die Schüler waren und wurden ständig beschäftigt. Sie hatten bis zu vier Doppellektionen Unterricht pro Tag. Danach gingen sie der Social Study (siehe unten) nach oder mussten typische kommunistische Fronarbeiten erledigen wie Wege bauen oder Bäume pflanzen.
Christofs Alltag war geprägt von Unwissenheit, Gerüchten, Strom- und Wasserausfällen. Dies erschwerte natürlich die Vorbereitung der Lektionen und das Korrigieren der Prüfungen. So wurde Christofs Improvisationsfähigkeit immer mal wieder herausgefordert.
Die Menschen
Christof konnte Dank gemeinsamen Mittagessen, Fussballspielen an den Wochenenden die Schülern näher kennenlernen. Grundlegende Diskussionen zu führen, war aber nicht möglich – man liess sich nicht darauf ein. In der Mittagspause konnte er zwar mit den Schülern essen (und jegliche Fragen beantworten), jedoch waren immer mindestens zwei Schüler anwesend, niemals einer alleine. Wollte ein Schüler mit dem Lehrer eine schulische Frage klären, musst dieser zuerst einen Mitschüler ausfindig machen, welcher Gesellschaft leisten würde. Diese Regel wurde zwar nie so kommuniziert, war jedoch nicht zu übersehen.
Auf die Frage, ob er einen authentischen Einblick in die Kultur erhalten hat, fand er keine Antwort. Er wisse es nicht. Er konnte sich auf und neben dem Campus zwar frei bewegen, jedoch wurde er beim Verlassen des Uni-Geländes stets von einem Fahrer und Aufpasser begleitet – offiziell zu seiner eigenen Sicherheit. Er musste jeweils anmelden, wenn er weggehen wollte.
Und wie ist die Einstellung der Menschen gegenüber den USA? Es gab in den Läden für Ausländer natürlich internationale Produkte zu kaufen – auch solche, die in den USA hergestellt wurden. Jedoch wurde bei diesen Produkten das Herstellungsland auf der Verpackung mit einem schwarzen Stift übermalt, damit man die Herkunft nicht mehr erkennen konnte. Die Regierung hat auch ihre Geschichte mit den USA umgeschrieben. In der Nordkoreanischen Version greift die USA Korea an, um das Land einzunehmen. Das starke Nordkorea konnte die USA jedoch in die Knie zwingen und einen Friedensvertrag aushandeln. Nordkorea ist somit das einzige Land auf dieser Welt, dem dies jemals gelang! Der Friedensvertrag wird an der Grenze zu Südkorea ausgestellt – neben der UN Flagge. Warum es da überhaupt eine UN Flagge gibt? Laut der Regierung wurde diese Flagge gehisst, weil es den USA zu peinlich war, ihre eigene Flagge hinzustellen. An der Universität hingegen war von all dem nichts zu spüren.
In Pjöngjang gibt es eine lebendige Expat-Szene. Die Expats bestehen hauptsächlich aus NGO-Mitarbeitern, Diplomaten und Angehörigen zahlreicher Botschaften. Im Diplomatenviertel gibt es alles, was das westliche Herz begehrt: Convenience stores, Pizzerien, Burger joints und Touristen-Hotels mit Swimming pool.
Weltanschauung & Propaganda
Christof vergleicht den Kommunismus und die Führung in Nordkorea wie eine Art Religion. Damit lässt ich vieles erklären: Das Verhalten der Regierung, die Akzeptanz im Volk, der Kult.
Das ganze Land strotzt übrigens von Monumenten. An zahlreichen Strassenkreuzungen stehen diese. Es geht dabei natürlich sehr häufig um die drei Führer. Aber auch ein anderes Thema ist omnipräsent: Die Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea. So heisst der grosse Markt in der Hauptstadt ‚Tong Il Market‘ (Tong Il heisst soviel wie Wiedervereinigung auf Koreanisch), Tong Il ist auch die grösste Strasse in Pjönjang und der Fluss heisst ebefalls Tong Il. Die Wiedervereinigung scheint ein Anliegen und das erklärte Ziel zu sein – dies war auch Kim Il Sung’s letzter Wille. Selbstverständlich soll dabei der Kommunismus aber nicht aufgegeben werden.
Die Propaganda ist zentraler Bestandteil des Tagesablaufs – auch in der Schule. In der unterrichtsfreien Zeit haben die Schüler häufig sogenannte ‚Social Studies‘. Dieser Unterricht findet in einem abgesonderten Gebäude mit dem Orwell’schen Namen ‚Ideology Center‘ statt und wird nur von Nordkoreanischen Lehrern unterrichtet. Fast jeden Tag sind die Schüler dort. Was im Ideology Center genau geschieht wusste Christof nicht. Darüber wurde nicht gesprochen. Selbst wenn man die Schüler direkt gefragt hat, hat man keine Antwort erhalten. Die Frage wurde ignoriert, man ist ihr ausgewichen oder hat sie mit einem beschämten Lächeln erwidert.
Eindrücke
Zusammenfassend meint Christof, dass vieles undurchsichtig sei. Man sieht einiges, jedoch bleiben Fragen nach dem ‚Wieso‘ und ‚Warum‘ unbeantwortet. Man erhält auf kaum etwas eine Antwort und wenn doch, ist man sich nie sicher, ob es zur Propaganda gehört oder nicht. Sein Bild über Nordkorea habe sich für ihn aber schon ein bisschen verändert, so Christof.
Er meint, dass das Bild von Nordkorea, welches uns hier durch die Medien vermittelt wird, auch mit Vorsicht zu geniessen sei. Es werden viele Klischees bedient, die wir hören und sehen wollen. Er meint, dass man mit Bedacht auswählen soll, was man glauben möchte. Auch sei die Wahrheit oft eine Frage der Sichtweise auf die Dinge.
Die normalen Leute in der Hauptstadt, die Studenten, die Fahrer und Aufpasser sind so wie wir auch. Sie kämpfen mit ihren alltäglichen persönlichen Problemen und Sorgen wie Menschen überall auf der Welt.
Christof hat während seinem Aufenthalt einen spannend Blog geführt. Ihr könnt weitere Details zu seinen Erlebnissen hier nachlesen und auch weitere Bilder sehen.